So hatte ich mir das nicht vorgestellt. So sollte es nicht sein. Und doch hatte es mich erwischt. Aber eins nach dem anderen. Erst einmal möchte ich mich kurz vorstellen: Mein Name ist Nadine Wottawah, ich bin 45 Jahre, glücklich verheiratet und Mutter von zwei Söhnen, die gerade 15 und fast 17 Jahre alt sind.
Als Diplom-Pädagogin arbeitete ich in einer Familienberatungsstelle und beriet Menschen in schwierigen Lebenslagen. Großen Anteil in meiner Beratungstätigkeit nahmen kreative Methoden ein, die ich Klienten bei der Problemlösung anbot. Die Kreativität bereitete Spaß, brachte Leichtigkeit in so manche schwere Lebenssituation und half bei der Bewältigung dieser, auch wenn die Worte manchmal fehlten. Der Job erfüllte mich sehr und forderte mich auch gleichzeitig.
Sowohl beruflich als auch privat war ich sehr engagiert, eigentlich immer in Action und das Wort „Nein!“ ging mir nur selten über die Lippen. Rückblickend kann ich sagen, ich war ein fleißiges Bienchen, immer damit beschäftigt zu arbeiten.
Es war zwar viel und Zeit für mich hatte ich kaum, aber zufrieden war ich schon. Groß Zeit zum Reflektieren und zur genaueren Prüfung hatte ich sowieso nicht und so arbeitete ich emsig weiter.
Und dann auf einmal, ohne Vorankündigung, kam im November 2021, ich war gerade 42 Jahre geworden, als Zufallsbefund die Diagnose Eierstock -und Gebärmutterschleimhautkrebs. „BÄHM“ machte es und ich krachte mit voller Wucht auf den harten Boden. Die Wuchtigkeit war so groß, dass das fleißige Bienchen desorientiert auf dem Boden aufschlug, es gelähmt, ausgeliefert und ohnmächtig wurde. Unfähig auch nur irgendetwas zu tun.
Die erste Zeit lief wie in einem Film ab. Ein Film, der verschwommen, wirr und voller Tragik war. Klinikum, OP, Schmerzen und große ANGST. Angst vor dem, was war, was ist, was da kommen wird. Angst vor dem Leben mit Krebs. Noch mehr Angst vor dem Tod.
Ich war sprachlos, konnte nur weinen, trug auf einmal das Stigma der totgeweihten Krebspatientin, was mich abermals sprachlos machte, mich zum Weinen brachte, mir mein Stigma aufzeigte… Ausgeliefert musste ich Geduld aufbringen bis die Zeit der Behandlung vorüber sein würde und Vertrauen, dass alles in Ordnung kommen würde. Fremdbestimmt durch Ärzte und andere Fachleute blieb mir das Hoffen. Das Hoffen auf die Genesung, auf das Überstehen, das Hoffen auf ein Weiterleben.
So hatte ich mir das nicht vorgestellt. So sollte es nicht sein. Und ich spürte, so durfte es nicht bleiben. Es brauchte Veränderung. Gespräche mit lieben Menschen trugen dazu bei, dass der Keim der Hoffnung langsam die Angst verdrängte. Sie erinnerten an meine Stärken und erlebte Situationen, die ich in der Vergangenheit bereits gemeistert hatte. Gespräche mit lieben Menschen gaben mir viel Kraft, aus der Starre zu treten und tätig zu werden. Ratschläge, die ich beruflich so oft formuliert hatte, fanden den Weg zurück zu mir und so gelang mir die Veränderung meiner Perspektive. Ich richtete vermehrt den Blick auf Dinge, die mein Wohlbefinden steigerten. Das Unglück, die Diagnose Krebs erhalten zu haben, betrachtete ich fortan als Glück, das der Krebs per Zufall erkannt wurde und bereits aus meinem Körper entfernt wurde, aus dem schnellen Tod, der mich ereilen würde, machte ich das lange Leben, welches mir bevorsteht und die große Angst ersetzte ich durch innigen Mut. Meine neue Betrachtungsweise brachte Stück für Stück Anteile meiner Autonomie zurück und so begann ich mich zu fragen:
- Welche Möglichkeiten habe ich in der aktuellen Situation?
- Was bringt mir Freude in dieser dunklen Phase meines Lebens?
- Wie kann ich mir den Tag verschönern?
Damit richtete ich meinen Blick bewusst auf das aus, das mir Erleichterung brachte, nahm jenes ins Visier, das mich bereicherte und tat zielgerichtet viel von dem, das mir gefiel. Gemalt habe ich schon immer gern. Am liebsten mit Acryl auf Leinwand und gerne im Großformat. Geschrieben hatte ich auch schon immer gern. Doch das hatte ich völlig vergessen. Irgendwie skurril, dass gerade der Krebs es war, der mich an diese großartige Ressource erinnert hat!
Das Schreiben und Malen tat so gut. Einfach Stifte und Zettel in die Hand nehmen und loslegen. Ich malte, worauf ich Lust hatte und schrieb, was aus mir raus wollte. Und davon wollte es jede Menge! Ich schrieb, schrieb, habe geschrieben und schrieb. Dazu malte ich, und malte, und malte. Und dann schrieb ich wieder. Und malte …Gefühle, Gedanken, Ängste, Sorgen und Fantasien … alles raus, damit es mich nicht mehr erdrückt. Raus damit, um das Nebulöse sichtbar werden zu lassen, das Unfassbare greifbar zu machen und dem Unaussprechlichen eine Form zu geben. Die Zeit über schrieb ich also viele, viele Texte, Geschichten, Reflexionen, die mir auf allen Ebenen gut taten. Ich malte wie verrückt, mit den verschiedensten Farbmitteln, am liebsten mit Acryl und im großen Format. Die Kreativität entlastete mich und führte mir meine Ressourcen vor Augen. Durch sie erkannte ich Strategien, die mir im Umgang mit meiner Lebenssituation halfen und die mir mögliche Lösungswege aufzeigten.
Eines nahm mich besonders ein. Und auch heute ist es etwas, das mich begleitet. Mal mehr und mal weniger. Das Thema „Angst“.
Bildbeschreibung
Die Frau ist kurz davor, von einer fleischfressenden Pflanze gefressen zu werden. Sie ist starr vor Angst, hängt an einem Seil kopfabwärts und ist der Angst völlig ausgeliefert. Sie ist nackt, ungeschützt und nichts kann der Angst etwas anhaben. Oder doch? Kann die Frau etwas tun? Was genau kann sie tun?
Meine Lösung: Bewegung
Schwingt sie aktiv mit dem Seil um ihre Beine hin und her, wird sie nicht von der Angst verschluckt. In Bewegung kommen und tätig werden, ein wichtiger Aspekt in der Krankheitsbewältigung. Die Tätigkeit weniger im Sinne von dem fleißigen Bienchen, das ununterbrochen damit beschäftigt war, die Aufgaben anderer zu erfüllen. Vielmehr eine Tätigkeit im Sinne eines Schmetterlings, der sein passives Abwarten beendet und sich aktiv in die Lüfte erhebt. Der seine Flügel entfaltet, um dem Ruf der Freiheit zu folgen. Wer kann schon wartend sein Potential entfalten? Wie kann man einer fleischfressenden Pflanze entkommen, wenn man bewegungslos ist. Auf welche Weise kann ich der Angst begegnen, damit sie mich nicht verschlingt? Meine Antwort: Auf eine Weise, die die Angst nicht erwartet. Indem ich auf meine Weise reagiere. Durch Kreativität. Indem ich schreibe und male und dadurch Erleichterung erfahre.
Die gesamte Therapie über schrieb und malte ich. Wann immer etwas mich beunruhigte, mir zusetzte und, oder mich nicht schlafen ließ, hatte ich mein Papier und meine Stifte dabei. Die Stunden zwischen 2.30 Uhr und 5.00 Uhr nachts, die endlose Zeit in Wartezimmern von Praxen und Kliniken, sofern es ging auch während der Chemo. Diese Zeit nutzte ich, um mir Mut zuzuschreiben oder mir meinen Tag bunt zu malen. Eine Strategie, die sich für mich bis heute bewährt hat.
Nach und nach schaffte ich auch mehr und mehr selbst, die Erkrankung Zuhause bei meinen Kindern anzusprechen. Zuvor musste die Kommunikation mein Mann übernehmen, da ich dafür nicht in der Lage war. Immer, wenn ich diesbezüglich etwas ansprechen, sagen oder nachfragen wollte, kam kein Ton heraus. Ich öffnete den Mund und nichts, rein gar nichts kam raus. So setzten wir uns zu viert zusammen und mein Mann übernahm die Gespräche mit unseren Teenagern. Hier und da ich schaffte ich es, das ein oder andere Wort hinzuzufügen, manchmal ganze Sätze auszusprechen. Malen und Schreiben gab mir wichtige Kraft dafür und mein Redeanteil wurde langsam größer. Das war wichtig. Für uns alle.
Mit der Zeit erkannte ich in den Bildern und Texten etwas ganz Wichtiges, wenn nicht das Wichtigste. Nämlich, dass nicht dem Krebs die Macht über mein Leben zusteht. Dass nicht er es verdient hat, all die Aufmerksamkeit zu bekommen und die wertvolle Energie, die ich für meine Heilung brauchte. Dass er entfernt wurde und ich nun jeglichen Fokus ausschließlich auf mich richten muss, damit ich dauerhaft gesund bleibe. Ruhe, Balance, Spaziergänge in der Natur, gesundes Essen, Umgang mit lieben Menschen, Hobbys, anstelle von Stress, Terminen, Verpflichtungen, Treffen mit anstrengenden Personen, Hektik … Kreativität vermittelte mir, dass ich immer durch die Betrachtungsweise auch Einfluss auf die Wirksamkeit habe und dass ICH entscheide, ob ich dabei die Angst und den Krebs in den Blick nehme oder den Mut und die Heilung. Ich habe mich für die Heilung entschieden und bin mutig geworden. Mutig einen Job anzunehmen, den ich für immer ausüben werde: mich fürsorglich um mich selbst zu kümmern.
Ich bin überzeugt, dass die Kreativität mir enorm beim Durchstehen der Erkrankung und bei der Heilung geholfen hat. Kreativität ist meine Quelle der Kraft. Kraftquellen zu lokalisieren und aktiv anzuzapfen, halte ich für eine enorm wichtige Komponente bei der Krankheitsbewältigung. Bis heute bin ich kreativ tätig. Frohsinn, Enthusiasmus, Trauer, Wut, … egal, was … ich schnappe mir einen Stift und Zettel, nehme mir Pinsel und Leinwand und lege einfach los. Es macht mich frei, hebt meine Stimmung und schenkt mir Kraft. Kraft, die notwendig ist, denn „Das Leben hält manchmal Herausforderungen bereit, die Kreativität erfordern.“
Ihr seid an einem Kontakt zu Nadine interssiert? Dann schaut gerne über den Link auf Nadines Website vorbei.