Katrin - Ist doch nur Hautkrebs

Mein Name ist Katrin, ich bin 46 Jahre alt, verheiratet und Mama von sechs Kindern. Wir wohnen in einem kleinen Zechenhaus mitten im Ruhrpott, haben zwei Hunde und einen alten Campingbus. Ich bin Erzieherin und arbeite in einer kleinen Elterninitiative. Mein Leben war nie langweilig. Kinder, Beruf, Freundschaften. Ich war immer da, wenn man mich brauchte. So in der Art: „Aus dem Weg, ich hab zu tun!“

 

Seit einiger Zeit hatte ich jedoch das Gefühl, am Limit zu sein. Ich funktionierte trotzdem, was blieb mir anderes übrig? In dieser Zeit bemerkte ich, dass sich ein Muttermal an meinem Bein veränderte. Ich hatte ein komisches Bauchgefühl, aber selbst wenn das Hautkrebs sein sollte: Das schneidet man weg und dann ist gut; lautete meine Überzeugung.

 

Im März 2020 hetzte ich von der Arbeit zum Hautarzttermin, eben den Fleck angucken lassen und dann ab zur Kita, die Jüngste abholen. Dachte ich... Eine halbe Stunde später drehte sich alles um mich, als die Ärztin sagte: „Es ist Krebs, Frau Wiemeyer. Wir müssen jetzt schnell sein. Ich hole meinen Kollegen aus der Pause und bereite den Op vor.“

 

Ich dachte, sie macht nen Scherz, das wird doch wohl Zeit haben bis morgen?!

 

Eine Stunde später saß ich in meinem Auto, lutschte zittrig das Traubenzuckerplättchen, dass die liebe Op-Schwester mir gegeben hatte und rief meinen Mann an. Er sagte nur: „Komm nach Hause, wir schaffen das.“

 

Seitdem ist alles anders. Ich bin nicht mehr nur ich, ich bin auch die mit dem Krebs!

 

Die erste Zeit war freier Fall. Bis zum Befund durch den Pathologen hatte ich Zeit, mir alles und nichts auszumalen. Ich verstand recht schnell, wie saugefährlich schwarzer Hautkrebs ist und wie schnell er Metastasen bildet. Wenn ich im Internet forschte, las ich da von „ 5-Jahresüberlebensraten“, allein diese Wortwahl sorgte für eiskalte Hände. Ich kann nicht sagen, wann in meinem Leben ich mehr Angst hatte.

 

Mein „Rettungsanker“ war in diesen Tagen die Facebook Selbsthilfegruppe Diagnose Hautkrebs- wir lassen dich nicht allein. Irgendwo las ich davon und bekam Kontakt zu Astrid, einer der Admins. Sie erklärte mir, worauf es in den nächsten Tagen ankam und nahm mir die erste Riesenangst.

 

Als ich nach einer Woche zur Befundbesprechung in der Praxis saß, mein Mann durfte trotz Coronalockdown dabei sein, dachte ich nur, „wer klappt jetzt als erstes zusammen, er oder ich?“. Mein Arzt hatte zum Glück gute Nachrichten, entgegen seiner eigenen Einschätzung war der Tumor nur 0,6 mm in die Haut eingedrungen, meine Chancen gesund zu werden, damit sehr gut. Es folgte ein großzügiger Nachschnitt und eine recht lange Heilungsphase. Meine Vorstellung nach dieser Heilungsphase und anschließender Reha wieder in mein altes Leben zurück zu hüpfen, stellte sich als Riesenbullshit heraus.

 

Nach meinem dritten Arbeitstag klappte ich komplett zusammen. Meine Glieder waren tonnenschwer, alles tat weh. Ich konnte nicht mal mehr heulen, selbst dafür fehlte mir die Kraft. Ich war viele Monate arbeitsunfähig, habe Tabletten nehmen müssen, um wieder schlafen zu können und mich den Monstern unter meinem Bett stellen müssen. In der zweiten Reha wurde mir ein chronisches Fatigue-Syndrom diagnostiziert. Was für eine Erleichterung, endlich einen Namen für diesen Zustand zu haben.

 

Ich habe eine Wiedereingliederung absolviert und arbeite seit einiger Zeit wieder, allerdings mit reduzierter Stundenzahl. Vieles geht besser, die Angst frisst mich nicht mehr auf, ich bin wieder belastbarer. Die Alte bin ich aber nicht mehr. Das war am Anfang schwer zu akzeptieren, mittlerweile finde ich die Neue gar nicht so schlecht.

 

Ich habe sortiert, Prioritäten verändert, ich sorge für mich!

 

Ich bin Moderatorin in unserer wundervollen Gruppe geworden und engagiere mich für andere Patienten. Ich versuche zurück zu geben, was mich damals gerettet hat.

 

Mitgefühl, Information und das Versprechen, nicht allein zu sein!

 

Manchmal ist es schwer, wenn Menschen aus unserer Mitte gerissen werden. Menschen, mit denen ich gesprochen habe, die ein Gesicht und einen Namen hatten. Menschen, die an meiner Krankheit sterben. Dann krabbeln sie wieder hervor, die fiesen kleinen Monster.

 

Ganz oft ist es aber auch unfassbar bereichernd!

 

Es fühlt sich einfach richtig an. Hautkrebs muss raus aus der schmuddeligen Ecke der Verharmlosung. Niemand darf mehr auf die Idee kommen, zu sagen: „Ach, nur Hautkrebs? Ja, Gott sei Dank!“

Kaum zu glauben, aber das war nur einer von vielen Sätzen aus meinem persönlichen Bullshit-Bingo! Nun aber zu einem wirklich tollen Projekt, von dem ich Euch noch erzählen möchte! Im letzten November haben wir in unserer Community eine von vielen großartigen Ideen verwirklicht. Unser Buch „0,8mm-Ist doch nur Hautkrebs“ ist entstanden. Fotografiert von der wunderbaren Carolin Windel, erzählen über 50 Hautkrebspatient:innen ihre Geschichte. Ich bin sicher, dieses Buch wird Türen öffnen, es wird bewegen und ich bin so stolz, ein Teil davon zu sein. Viele weitere Ideen sind auf dem Weg, Michi und Nils werden in Zukunft regelmässig bei Instagram live über Hautkrebs sprechen.

 

Unsere Patientenorganisation „MID, Melanominfo Deutschland“ ist präsent auf Facebook und Instagram und hilft, aufzuklären und zu informieren. Mein „Metzgerbein“, wie ich es in der ersten Zeit mit Galgenhumor benannt habe, hatte also nicht nur Schlechtes. Ich hab den Krebs nicht eingeladen, aber er hat mir auch viel Gutes gebracht. Begegnungen, ein Ehrenamt, das sich im wahrsten Sinne „sinnvoll“ anfühlt und einen neuen Blick auf das Leben.


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Kommentare: 1
  • #1

    Benji (Donnerstag, 20 Oktober 2022 21:16)

    Ein super Beitrag! Nicht nur über die Behandlung von Hautkrebs, aber auch die psychologischen Folgen.

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