Viele Menschen halten es nicht aus, allein Zeit mit sich zu verbringen. Sie fürchten die Stille, fehlenden Trubel oder sich selbst zu begegnen. Ihnen fehlt die Erdung durch einen anderen Menschen. Ich hingegen bin ein Mensch, der sehr gut allein sein kann. Je älter ich werde, umso prägnanter tritt dieser Wesenszug hervor.
Als Kind galt ich als sehr schüchtern. Ich versteckte mich hinter anderen, wenn man mich dazu aufforderte nach vorne zu treten und Erwachsenen die Hand zu schütteln oder mit Kindern zu spielen, die ich nicht kannte. Um mit manch anderen warm zu werden, benötige ich bis heute Zeit. Und nicht immer möchte ich diese Zeit investieren, wenn mein Bauch oder Herz sich bereits für einen anderen Weg entschieden haben. Und dann gibt es diese Menschen, denen begegne ich und da scheint etwas magisches in der Luft zu liegen. Ein Erkennen, für das es keine Worte benötigt und bei denen ich mich angekommen fühle und denen ich vertrauen kann. Dazu müssen wir uns auch nicht oft sehen.
Nicht selten erscheint mir die Gesellschaft anderer zu laut, zu fordernd in meiner Aufmerksamkeit. Vor allem wenn viele unterschiedliche Menschen zusammenkommen und meine Aufmerksamkeit quasi von einem zum anderen springen muss. Ich könnte zum Beispiel nie in einem Großraumbüro arbeiten. Ohne geeignete Rückzugsmöglichkeit muss ich aufpassen, mich emotional vor lauter Widersprüchlichkeiten in Worten und Emotionen nicht aufzureiben und fühle mich unter vielen oft einsam. Meist findet man mich von daher bei Veranstaltungen in ruhigeren Ecken, wo ich mich besser auf Gesprächspartner konzentrieren kann. Dieser Charakterzug hindert mich nicht daran, auf Vorträgen oder Podiumsdiskussionen für andere einzutreten oder meine Geschichte zu erzählen. Man hört mir gerne zu, was mich immer wieder in Erstaunen versetzt. Für Umstehende wirke ich bei solchen Gelegenheiten souverän und in sich ruhend. Die Ruhe, die ich auf andere ausübe, schätzen viele an mir, weil diese sich oft auf sie überträgt und sie sich dadurch in meiner Gegenwart wohlfühlen. Justin hat von dieser Art für sein Leben in unfassbarer Art und Weise profitiert.
Privat steht mein Telefon meist auf lautlos, denn ich telefoniere schlichtweg nicht gerne. Meine Mails rufe ich nur über mein Laptop ab und nicht über mein Smartphone. Ich habe mich bewusst dazu entscheiden, nicht 24/7 erreichbar sein zu wollen, gerade weil ich dazu neige, immer sofort bestmöglich und umgehend zu antworten oder für andere eine Lösung zu finden oder Antworten zu geben, für die ich keine habe. Der Nachteil über die sozialen Medien zu agieren, liegt für mich darin, dass trotz so manches intensiven Kontaktes, er nie genug erscheint. Ich fühle mich wie ein Zuschauer vieler anderer Leben. Dabei würde ich manches Mal, einfach so sehr gerne mehr tun. Das Leben leben und gemeinsame Momente genießen. Und obwohl ich so ungerne telefoniere, würde ich dann gerne lieber mit jemandem telefonieren. Derjenigen ein klein wenig näher sein, als es ein verschenktes Herz oder einige wenige Zeilen auszudrücken vermögen. Einfach nur zuhören. Begleiten. Da sein.
Es gibt Tage, an denen fällt es mir schwer, mögliche Erwartungshaltungen von anderen auszuhalten. Vor allem dann, wenn das Leben gerade wieder besonders fordernd auf mich einwirkt. Von daher ziehe ich mich gelegentlich zurück, um einiges mit mir selbst auszumachen oder wenn meine Akkus dringend aufgeladen werden müssen.
Es gibt Menschen, die können das. Einen Raum betreten und die Aufmerksamkeit aller gehört ihnen und die diesen Spiegel für sich im Leben benötigen. Manche leuchten mit Glitzer, andere durch Geschichten und ich eben durch meine besonnene Art. Ich bin ein Mensch, der gut mit sich allein sein kann, ohne sich dabei einsam zu fühlen. Und doch bin ich ein einsamer Mensch, der die Einsamkeit als Mutter eines Sohnes mit Behinderung in einer sehr besonderen, vielschichtigen und intensiven Art kennengelernt hat.
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