Das Sterben und die Limousine

Den Kampf gegen den Krebs antreten, stark sein, Zuversicht und Hoffnung haben - das sind nicht die einzigen Aufgaben, die vielen Menschen mit einer Krebserkrankung von ihrem Umfeld auferlegt werden und die sie sich auch selbst auferlegen.

 

Ein Kampf ist gut, er ist kraftvoll und wenn man erstmal kämpft, verteidigt man sein Leben gegen den Tod. So hat man wenigstens die Chance zu gewinnen. Der Kampf ist also die logische Konsequenz dieser Erkrankung? Für die meisten ist der Kampf die logische Konsequenz und auch häufig dass, was als Option bei Beratung und Aufklärung, in den Raum gestellt wird.

 

Ich möchte euch die Geschichte von Nora erzählen. Also einen Teil Ihrer Geschichte, ein Stück Ihres Weges, auf dem ich sie begleiten durfte.

 

Nora

 

Ich lerne Dich kennen, als du Anfang 20 bist. Du bist mir bis heute in Erinnerung geblieben und immer wieder mal erzähle ich Deine Geschichte. Ich glaube, Dir würde das gefallen, denn kurz bevor Du starbst, hast Du angefangen dein Leben niederzuschreiben. Du wolltest etwas von Dir schaffen, dass bleibt. Etwas zum Anfassen...

 

Du hast Krebs!!! Du kommst zu uns ins Kinder- und Jugendhospiz und weißt, dass du bald sterben wirst. Ich arbeite seit einigen Jahren hier und doch ergreift mich dein Schicksal auf ganz besondere Weise. Ich erkenne mich in Dir. Du bist nur wenige Jahre jünger als ich...

Wir verbringen viel Zeit miteinander. Wir reden, wir schweigen und manchmal gehen mir deine Worte so nah, dass ich es schier kaum aushalten kann. 
Ich frage dich, wie du es aushälst?!

 

Du weinst und sagst : „Gar nichts halte ich aus und ich möchte es auch gar nicht aushalten. Ich möchte Leben! Ich möchte eine Wohnung mieten, darin kochen, schlafen, Musik hören, einen Freund haben. Ist das zu viel verlangt?"

 

Auch deine Mama weint. Nur ein Jahr ist seit der Diagnose vergangen. Vor einem Jahr bist Du zum Arzt gegangen. Du hattest Beschwerden. Er diagnostizierte Dir die Vorstufe einer Krebserkrankung und bat dich, in sechs Monaten zur Nachkontrolle zu kommen. Du hast Dir Sorgen gemacht, doch gleichzeitig darauf vertraut, was der Arzt dir beruhigend versicherte.

 

Du sagtest: „Vielleicht wollte ich es auch gar nicht wissen, habe es insgeheim gespürt und dachte,

wenn ich die Antwort nicht höre, ist sie auch nicht wahr...“

 

Ich kann Dich so gut verstehen. Nach sechs Monaten war aus der Vorstufe ein bereits metastasierendes, aggressives Gewächs geworden. Die Ärzte erzählten Dir von der schlechten Prognose und rieten dir zu Chemotherapie. An dieser Stelle deines Lebens hast du dich das erste Mal mit der Endlichkeit deines Lebens auseinandergesetzt.

Ich sitze neben deinem Bett und betrachte die Bilder an der Wand. Es sind immer zwei Frauen darauf zu sehen. Deine Freundin und du. Ich kann beim besten Willen nicht erkennen, wer von diesen beiden Frauen du bist. Diese Frauen dort sind schlank, modisch gekleidet und geschminkt, sie haben lange blonde Haare und lachen ausgelassen. Es scheint ihnen gut zu gehen.

Jetzt liegst du hier im Bett, kannst dich nur noch unter Schmerzen bewegen, deine Haare wachsen langsam wieder nach. Wir haben sie Dir vor ein paar Tagen knallrot gefärbt. Du hast dich darauf gefreut, denn „früher hätte ich mich das nie getraut“. Dein Körper und dein Gesicht sind aufgedunsen von den zahlreichen Medikamenten. Deine Freundin war noch nicht zu Besuch. Du möchtest keinen Besuch. Du schämst Dich für dein Aussehen und deinen „Zustand“.

 

„Weißt Du Corinna. Als die Ärzte mir gesagt haben, dass ich Krebs habe und er auch schon gestreut hat. Warum hat mich niemand über die Möglichkeiten aufgeklärt, die ich habe?

Warum war allen so klar, dass ich diese Chemotherapien mache und sie meine einzige Chance sind und auf was überhaupt?“ 

 

Wenn Hoffnung bleiben darf

 

Natürlich klammerst Du dich an diese Hoffnung. Du möchtest doch alles tun um wieder gesund zu werden. Und die Ärzte werden schließlich wissen, was das Beste für Dich ist, sagst Du. Du weißt, dass es sein kann, dass Du es nicht schaffst. Doch niemand spricht ganz offen mit Dir darüber. Du möchtest diesen Gedanken gar nicht erst zulassen. Denn es fühlt sich an wie aufgeben. Dich selbst, deine Freunde, deine Familie. Niemand schien auch nur annähernd in Erwägung gezogen zu haben, eine palliative Unterstützung für dich hinzuzuziehen.

 

Die Gedanken auf der anderen Seite

 

Wenn wir das jetzt tun, geben wir sie auf. Dann suggerieren wir ihr, dass es ihr Ende sein wird und wir keine Hoffnung mehr haben. Aber die Hoffnung ist doch das, was zählt.!? Die Hoffnung braucht sie jetzt, um stark zu sein!!!

 

Du hast die Hoffnung nie aufgegeben

 

Doch jetzt hoffst du anders. Die Prioritäten haben sich verschoben. Du hoffst darauf, die Zeit, die dir noch verbleibt, genießen zu können. Auf deine eigene Initiative hin hast Du gemeinsam mit deiner Mama Kontakt zu uns aufgenommen. Wir nehmen Dich bei uns auf und sprechen erst einmal nur darüber, wie es Dir geht und was Du Dir wünschst.

 

Was müsste jetzt passieren, damit es dir gut geht?

 

Du möchtest nicht allein sein. Du möchtest über die Dinge sprechen, die dich bewegen, ohne immer und immer wieder deine Mama zu sehr zu belasten. Du möchtest wissen, welche Möglichkeiten an Behandlungen du hast und vor allem welche Auswirkungen sie auf deine Lebensqualität haben werden.

 

Der Wunsch nach Ehrlichkeit

 

Ich sage Dir, dass du sterben wirst. Ich weiß nicht WANN und ich weiß nicht WIE, aber ich kann Dir sagen, dass wir zu jeder Zeit an deiner Seite stehen. Dass wir an der Seite deiner Mama stehen und GEMEINSAM mit euch einen Weg finden werden und euch in dem unterstützen werden, was ihr möchtet. Wir können Dir nicht versprechen, Dir all deine Schmerzen, Ängste und Sorgen zu nehmen. Wir können versuchen sie zu lindern.

 

Du siehst mich wieder an und weinst. „Du bist die erste Person, die mir gerade so klar sagt, dass ich sterben werde. Aber Du bist auch die erste Person, die mir ganz ehrlich sagt, was ich tun kann. Du lässt mich entscheiden - das ist schwer und gleichzeitig fühle ich mich endlich wieder sicher. Ich muss nichts mehr tun um irgendwem oder irgendetwas zu entsprechen. Nur ich allein werde jetzt entscheiden und es tut so gut zu wissen, dass niemand hier mich dafür verurteilt. Warum genau habe ich so viel Zeit damit verbracht einen Kampf zu kämpfen, den ich nicht kämpfen möchte? Was, wenn ich mich schon viel früher gegen die Chemo entschieden hätte? Was, wenn ich mich zu einem Zeitpunkt dagegen entschieden hätte, an dem ich körperlich noch in der Lage gewesen wäre, zu reisen, Zeit mit meinen Freunden zu verbringen, Dinge zu tun, die mir Spaß machten?“

 

Ich sehe Dich an und mir ist so schwer ums Herz. Ich nehme Dich in den Arm und sage Dir, wie schön ich es finde, dass Du jetzt bei uns bist. Ich weiß um die Kraft, die es kostet, diese Entscheidung zu treffen. Du hast dich nicht gegen das Leben entschieden. Du hast Dich für Dich entschieden...

 

Nachdem Du bei uns angekommen warst, brauchtest Du einige Wochen um Dich von den Auswirkungen der Behandlungen der letzten Zeit zu erholen. Wir konzentrierten uns darauf, nur noch das zu tun, was Dir gut tat. Du hast Kraft gesammelt - ja sogar Lebensmut! Du hast Dein Lächeln wiedergefunden, hast entschieden deine Freunde zu sehen und gemeinsam mit ihnen Ausflüge zu unternehmen. Du hast Dir deinen Traum erfüllt, einmal im Leben in einer Limousine zu sitzen. Wie schön sind die Bilder in unserem Garten geworden. Ein kurzer Moment der Unbeschwertheit, mit einem Glas Sekt in der Hand...

 

„Stell Dir nur mal vor, ich hätte diesen Kampf weitergeführt. Wahrscheinlich läge ich dann jetzt irgendwo auf der Intensivstation, inmitten von Kabeln und Schläuchen. Neben all den Menschen, die um ihr Überleben ringen. Statt dessen sitze ich hier im Garten, ich bin gerade mit meinen Freunden mit einer Limousine durch die Stadt gefahren. Ich rieche die Sonne auf meiner Haut und höre den Vögeln zu."

 

Meine Gedanken

 

Warum erzähle ich gerade die Geschichte von Nora? Ich selbst bin nicht betroffen. Von daher kann ich nur im entferntesten erahnen, wie es Menschen mit dieser Diagnose geht. Gleichzeitig habe ich lange im Kinderhospiz gearbeitet und viele Kinder und ihre Familien an ihrem Lebensende begleitet. Ich bin demütig geworden und ich habe gesehen, wohin ein blinder Kampf führen kann. Ich finde es so richtig und wichtig zu kämpfen, ich würde es auch tun. Nur sollte uns bewusst sein wofür und wie. Wir dürfen entscheiden, wofür wir kämpfen und zwar in jedem Moment. Und deshalb finde ich eine ehrliche, klare und vor allem in alle Richtungen gehende Aufklärung unabdingbar. Nur wer seine Möglichkeiten kennt, hat eine freie Entscheidungsmöglichkeit. Ich möchte, dass die verschiedenen Disziplinen der Medizin, Hand in Hand arbeiten, sich ergänzen. Dass es um die Patienten und Patientinnen geht und nicht um Ego, Geld und Macht.

Es gibt eine berühmte Studie aus den USA, die zwei Patientengruppen mit fortgeschrittenem metastasiertem Lungenkrebs miteinander verglichen hat, also einer sehr schweren Erkrankung mit kurzer Lebenserwartung (New England Journal of Medicine: Temel et al., 2010). Die eine Gruppe erhielt frühzeitig eine palliative Versorgung, die andere nicht. In der Palliativgruppe hatten die Menschen eine bessere Lebensqualität, waren weniger depressiv und bekamen weniger Chemotherapien am Lebensende. Aber das erstaunlichste Ergebnis dieser Studie war: Diese Gruppe von Patienten lebte auch drei Monate länger.

 

Es gibt nicht den einen richtigen Weg. Es gibt viele und gerade deshalb muss ich sie kennen. Um entscheiden zu können welcher für mich der Richtige ist.

 

Meine Botschaft

 

Sterben ist Leben. Es ist ein Prozess, der zu uns gehört und unterschiedlich lang andauern kann. In der palliativen Versorgung, geht es ums Sterben. Es geht darum, diesem Prozess mehr Leben und vor allem mehr Lebensqualität einzuräumen. Den Ruf, der auf dem Ansehen von Pailliativmedizin lastet, gebührt ihr nicht. Denn wenn sie frühzeitig (und möglich ist es bereits ab dem Zeitpunkt der ersten Diagnosenstellung) hinzugezogen wird, können sich so viele Wege öffnen. Zugehörige können auf körperlicher und emotionaler Ebene entlastet werden. Palliativmedizin schließt kurative Behandlungswege nicht aus! Kein Betroffener muss sich für das Eine und gegen das Andere entscheiden. Beide Wege dürfen sich miteinander verbinden...

 

Das ist es, was ich mir wünsche.

Herzliche Grüße

 

Corinna von Traudichkeit

 

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