Liebe Leserinnen und Leser,
mein Name ist Dirk Rohde, ich werde aber von den meisten einfach nur "Don" genannt. Ich bin 55 Jahre alt und arbeite als Polizeibeamter in der Innenstadt von Köln, in der Polizeiinspektion 1 und bin dort oft als Motorradpolizist unterwegs.
Im Mai 2015 erkrankte ich an Krebs, an einem sogenannten Hypopharynxcarzinom. Ich hatte also einen bösartigen Tumor am Zungengrund im Schlund-Rachen. Der Tumor hatte bereits in einen Lymphknoten im Hals hinein gestreut und Mikrometastasen waren Kapselüberschreitend ausgebrochen. Das alles tat bis dahin überhaupt nicht weh und hätte ich an meiner rechten Halsseite keine leichte Schwellung gehabt, wäre es mir überhaupt nicht aufgefallen.
In der Folge wurde ich dreimal operiert. Der Tumor am Zungengrund wurde entfernt und auf beiden Halsseiten die Lymphknoten entfernt. Die Entfernung der Lymphknoten nennt sich Neck Dissektion. Hier wurde viel an Muskulatur/Unterhautfettgewebe aus dem Hals herausoperiert. Das hat zur Folge, dass ich heute einen recht dünnen Hals habe. 5 Wochen nach diesen OPs habe ich mich einer Radio-Chemo-Therapie unterzogen.
Ein Jahr später, im Sommer 2016, verlor ich durch eine bakterielle Entzündung im Rachen fast mein Leben. Ich stand kurz vor dem Erstickungstod und in einer Notoperation in der Nacht rettete der diensthabende Chirurg mein Leben. Das Antibiotika gegen die Entzündung war aufgrund der durch die Bestrahlung schlecht durchbluteten Schleimhäute nicht an die entzündliche Stelle gekommen, so dass sich ein lebensbedrohlicher Abszess direkt neben der Luftröhre bildete und drohte diese zu verschließen. Als ich auf der Intensivstation wach wurde, sagte mir der Chirurg: "Sie haben nochmal Glück gehabt. Die Öffnung zur Luftröhre war nur noch Stecknadelkopf groß. 30 Minuten später und Sie wären erstickt."
Die Operationen und die Chemo-Strahlen-Therapie haben zu mehreren körperlichen Einschränkungen geführt. Seitdem bin ich schwerbehindert. Ich habe nur noch eine halbe Zunge. Meinen Mund kann ich nur noch wenige Zentimeter weit öffnen, da ich eine Kieferklemme habe. Ich habe zudem nur noch sehr wenig Speichel, da die Speicheldrüsen durch die Bestrahlung zerstört wurden. Essen ist hierdurch zu einer Herausforderung geworden. Auch das deutliche Sprechen musste ich zunächst wieder erlernen.
Nach den Therapien habe ich langsam angefangen zu trainieren und das Training Stück für Stück gesteigert. 15 Kilo verlorenes Gewicht galt es wieder zu erlangen. Auch Kopfdrehungen musste ich trainieren um wieder ein KfZ oder ein Motorrad führen zu dürfen. Nach einem Jahr war ich soweit wieder Polizeidienst im Außendienst verrichten zu können.
Nach meiner Therapie war ich jedoch nicht nur körperlich stark angeschlagen. Auch die Seele hatte stark gelitten. Ich hatte das Bedürfnis mir das Erlebte "von der Seele zu schreiben". Und so gründete ich meinen Facebook Blog Schockdiagnose Krebs. Und plötzlich ist alles anders. Hier schrieb ich das Erlebte, die Operationen und die anschließende Therapie, nieder. Mein Blog wurde nach und nach immer mehr gelesen und hierüber ergaben sich mit der Zeit Kontakte, auch zu Medien.
Ich trat dem Verein Kopf-Hals-Mund-Krebs e.V. bei und wurde Patientenbetreuer für den Bereich Köln. Zudem gründete ich im Herbst 2018 in Köln eine Selbsthilfegruppe für Kopf-Hals-Mund-Krebs.
Im Jahr 2018 entschloss ich mich dazu an einem Forschungsprojekt der isPO (integrierte sektorenübergreifende Psychoonkologie) teilzunehmen und wurde Onkolotse des isPO Projektes in Köln. Das Onkolotsenprojekt ist an die Uniklinik Köln angegliedert. Am Projekt isPO wirken alle Sektoren des Gesundheitswesens mit. Das Projekt wird im Ballungsraum Köln und drei Regionen in NRW im Rahmen von ärztlich geleiteten Versorgungsnetzwerken (onkologisches Zentrum und niedergelassene Ärzte) realisiert.
Je nach individuellem Bedarf erhält ein Krebspatient unter Einbeziehung der Patientenselbsthilfe eine psychosoziale und/oder psychoonkologisch-psychotherapeutische Versorgung. Diese wird von geschulten Psychoonkologen im ärztlichen Auftrag erbracht. Die gestufte Versorgung beginnt mit der Krebsdiagnose und wird über einen Zeitraum von 12 Monaten sektorenübergreifend erbracht. Sämtliche Leistungen der psychoonkologischen Versorgung sind in Versorgungspfaden schriftlich dargelegt. Verfahrensanweisungen regeln die Leistungserbringung, die Dokumentation, die Organisation sowie die Prüfung der Versorgung. Um eine qualitativ hohe und geregelte Versorgung zu garantieren und die notwendigen administrativen Aufgaben schnell und effizient zu erledigen, werden moderne informationsverarbeitende Technologien der Versorgungsdokumentation, -steuerung und Qualitätssicherung erstellt. Sämtliche Elemente des isPO-Projektes gehen in das psychoonkologische Versorgungsprogramm ein.
Onkolotse kann werden, wer eine Krebserkrankung überstanden hat und körperlich, sowie seelisch in der Lage ist, diese Tätigkeit auszuüben. Onkolotsen arbeiten ehrenamtlich.
In der Praxis trifft sich der Onkolotse mit dem am isPO-Onkolotsenprojekt teilnehmenden Patienten. Die Patienten haben erst kürzlich von ihrer Diagnose Krebs erfahren. Für diesen Patienten hat zuvor ein Case Manager individuell eine Informationsmappe zusammengestellt. In dieser Mappe sind alle für den Patienten wichtige Informationen enthalten. Zum Beispiel die Frage, wo findet der Patient für Ihn interessante Selbsthilfegruppen? Wie und wo beantrage ich einen Schwerbehindertenausweis? Wo erhalte ich Hilfe bei der Bewältigung der anfallenden Arbeiten in meinem Haushalt? Kann ich Hilfe für Betreuung meiner Kinder erhalten und wo und wer macht das? Wo kann ich finanzielle Unterstützung erhalten? Um was alles würde sich meine Krankenkasse kümmern, etc.
Wir Onkolotsen beantworten auf Wunsch natürlich auch Fragen zu unserer eigenen Krebserkrankung und eigene Erfahrungen hieraus. Jedoch steht die eigene „Krebsgeschichte“ nicht im Vordergrund. Vielmehr geht es vorrangig um die Erkrankung und um die Hilfe für den betreffenden Patienten. Patienten besuche ich nur auf Anfrage und niemals von mir ausgehend. Der Wunsch auf Besuch und auf ein beratendes Gespräch erfolgt immer durch den Patienten. Hierbei ist die Wahrung der Privatsphäre und Verschwiegenheit oberste Maxime.
Immer mehr betreue und treffe ich mich auch mit erkrankten Kindern, wenn hier Anfragen an mich herangetragen werden. Seit kurzem arbeite ich hier als ehrenamtlicher Helfer mit dem Verein Strahlemännchen e.V. zusammen, der sich um Wünsche und Hilfe für krebskranke Kinder kümmert. Bei meinen Patientenbesuchen bringe ich meistens einen kleinen Glücksbringer in Form eines Polizeibärchen oder des Polizeihundes „Socke“ mit. Diese Glückbringer sind oft ein Türöffner in das Herz der Patienten.
Dirk (Don) Rohde
Kommentar schreiben