Es fehlt an Lebens- Arbeits- und Wohnkultur in Mischformen für Menschen mit Behinderungen. Wohnformen, die in der Lage sind, junge Erwachsene mit den unterschiedlichsten Behinderungen aufzufangen. Arbeitsformen, die auch individuellen Lebenskonzepten Entwicklungsmöglichkeiten außerhalb von Behindertenwerkstätten ermöglichen.
Unter Loslassen verstehenverantwortungsbewusste Eltern von behinderten Kindern nicht, diese mit Volljährigkeit einem nicht mehr zeitgemäßen System, fremdbestimmt zu überlassen und fern seiner Heimat in einer Einrichtung unterzubringen.
- Niemand darf wegen seiner Behinderung beachteiligt werden. So ist es im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verankert. Die Realität sieht für für viele Betroffene hingegen tagtäglich anders aus.
Das Benachteiligungsverbot des Grundgesetzbuches erschöpft sich nicht in der Anordnung, Menschen mit und ohne Behinderung rechtlich gleich zu behandeln. Vielmehr kann eine Benachteiligung auch vorliegen, wenn die Lebenssituation von Menschen mit Behinderung im Vergleich zu derjenigen nicht behinderter Menschen, durch gesetzliche Regelungen verschlechtert wird oder die ihnen Entfaltungs- und Betätigungsmöglichkeiten vorenthalten, welche anderen offen stehen.
Barrierefreies und rollstuhlgerechtes Wohnen
Barrierefreie Wohnungen werden auf Grund einer zunehmend älter werdenen Gesellschaft, immer häufiger auf dem offenen Wohnungsmarkt angeboten. Davon profitieren nicht nur ältere Mitbürger, die zum Beispiel auf Gehhilfen angewiesen sind, sondern auch viele jüngere. Einfach, weil barrierefreies Wohnen viele praktische Aspekte in sich birgt. Als Beispiel sei eine junge Familie genannt, die über Jahre hinweg mit einem Kinderwagen und entsprechendem Gepäck unterwegs ist. Rollstuhlgerechte Wohnungen hingegen gibt es nachwievor zu wenige.
Nicht jeder, der auf eine barrierefreie und rollstuhlgerechte Wohnung angewiesen ist, kann sich eine solche leisten - weder was teure Mieten anbelangt, noch was einen Umbau oder Bau eines solchen Projektes betrifft. Menschen mit Behinderungen, ob alleinstehend oder mit ihren Familien, suchen oftmals über Jahre nach einer entsprechend geeigneten Wohnung. Hinzu kommt, dass der soziale Wohnungsbau in Gesamtdeutschland in den letzten Jahren vernachlässigt wurde, wenn auch derzeit wieder verstärkt in den Sozialbau investiert wird, wie auch hier in Aschaffenburg.
Betreutes Wohnen
Dabei wird unterschieden in Betreuungsgemeinschaften, kurz BG und betreutes Einzelwohnen, kurz BEW genannt.
Betreutes Einzelwohnen
Das betreute Einzelwohnen ähnelt am ehesten der Form, in der die meisten aus unserer Gesellschaft leben.
- Sie ist möglich für Menschen, die in einem hohen Maß selbstständig leben können und bei der Strukturierung ihres Alltags nur wenig Hilfe benötigen
- sowie für Menschen, die für das Leben in einer Wohngemeinschaft nicht geeignet sind
- oder es ausdrücklich wünschen, alleine zu leben, auch mit einem hohen Pflege- und Betreuungsschlüssel. Dieser Schritt wird oftmals von bürokratischer Seite erschwert, weil das erklärte Ziel von Trägern und Bezirken lautet, das Einzelwohnen nicht wesentlich teurer sein darf, als ein Platz in einem Heim.
Der Wohnraum ist dabei meist an die speziellen Bedürfnisse des Betroffenen angepasst. Für entsprechend notwenige Umbauten, können Zuschüsse über:
- Krankenkassen
- Träger und Stiftungen
beantragt werden. Ziel ist es, die Autonomie des Betroffenen weitestgehend zu fördern und zu erhalten und den Hilfebedarf so niedrig als möglich zu halten. Dabei besteht für den Betroffenen durchaus die Möglichkeit, der sozialen Vereinsamung.
Dennoch sollte diese Form des individuellen Wohnes bei Wunsch unterstützt werden. Eine Möglichkeit, solch eine Form des Wohnens auszubauen, könnte verstärkt die Zuhilfenahme des Persönlichen Budgets für Assistenten sein, welche nachwievor viel zu selten genutzt wird. Oder von den Trägern in nicht ausreichendem Maße bewillgt wird, oder, oder, oder. Die Nutzung des Persönlichen Budgets ist für viele Betroffenen und ihre Familien, generell noch weitgehend unbekannt. Es fehlt zum einen an fachgerechter Beratung und für andere ist die Hürde der Beantragung und Umsetzung, viel zu kompliziert und umständlich. Auch in diesem Bereich sollten und müssen Hürden abgebaut werden.
Betreute Wohngemeinschaften oder auch WG genannt
Betreute Wohngruppen sind in normal genutzten Wohnhäusern möglich. Dadurch sind mehr soziale Kontakte nach außen in die Gesellschaft möglich. Von Vorteil sind in der Nähe gelegene Bus- und Bahnanbindungen, Einkaufsmöglichkeiten, unterschiedlichste Freizeitmöglichkeiten und Nähe zur Arbeitsstelle.
Meist leben nicht mehr als sechs Bewohner zusammen in einer WG. Sie können geistig, körperlich oder auch mehrfachbehindert sein. Grundvoraussetzung ist, dass sie keine rundum Pflege und Betreuung benötigen. Von ihnen allen, wird ein hohes Maß an Selbstständigkeit und Integrationsfähigkeit in die Wohngemeinsacht erwartet.
Voraussetzungen an die Bewohner sind:
- das sie Werktags einer geregelten Tätigkeit nachgehen können
- sich alleine im Straßenverkehr zurechtfinden
- tagsüber und nachts mehrere Stunden alleine verbingen können
- sich selbstständig versorgen und Teile des Haushalts übernehmen können
- selbst in der Lage sind, ihren Tagesablauf strukturieren zu können
Dabei könnte es viel mehr betreute Wohngemeinschaften geben, wenn die Stunden an Leistungen erhöht werden. Meist werden einer Wohngemeinschaft 6 Stunden Unterstützung gewährt. Diese Stunden müssen in einer WG dazu reichen, dass Fragen und Probleme innerhalb der Gemeinschaft geklärt werden, Unterstützung beim Haushalt, Freizeitgestaltung und Arzttermine anzubieten und zu organisieren. Auch in diesem Fall könnte das Persönliche Budget weit mehr betreute Wohngemeinschaften bilden und bestehende besser unterstützen und somit manch einem Betroffenen ermöglichen, außerhalb eines Heims zu leben. Somit könnten Menschen aufgefangen werden, die auch auf Grund eines erhöhten Betreuungs- und Pflegebedarfs, derzeit auf der Kippe für solch eine Wohnform stehen.
Aber auch hier tut sich neues, wie zum Beispiel die Plattform WOHN:SINN beeindruckend zeigt.
WOHN:SINN hat es sich zur Aufgabe gemacht, inklusive WGs, in der Menschen mit und ohne Behinderung leben, eine Plattform zu bieten und zeigt mit vielen Beispielen und Informationen, wie man auch
für Menschen mit einem hohen Betreuungsbedarf, eine solche WG gründen und aufbauen kann.
Heime, oder auch Einrichtungen genannt, sind allgemein die nicht erstrebenswerte Form des Wohnens
und doch für Menschen mit schweren und schwersten Behinderungen, oftmals die einzige Alternative einer Wohnform. Grund dafür sind oft fehlende finanzielle Mittel der Träger und Bezirke und fehlende innovative Möglichkeiten.
Meist gilt:
- ist ein behinderter Mensch in der Lage eine Werkstatt besuchen zu können, kann er in einem entsprechenden Wohnheim leben
- ist ein behinderter Mensch auf einen Platz in einer Tagesförderstätte angewiesen, hat er NUR die Möglichkeit, in einem entsprechend angegliederten Wohnheim zu leben, mit integriertem Beschäftigungsangebot und gesteigertem, ganztägigem Pflegeangebot
Ihre Bewohner haben alles eines gemeinsam: Sie sind NICHT in der Lage, sich selbstständig oder mit entsprechendem Unterstützungsangeboten, selbstständig zu versorgen.
In Heimen, werden schutzbefohlene behinderte Menschen:
- rundum versorgt
- erhalten Hilfe, Anleitung und Unterstützung zu den täglichen Abläufen des Lebens
- werden gepflegt und beaufsichtigt
- bekommen Freizeitmöglichkeiten angeboten und erhalten Therapien
Die Wohngruppen innerhalb der Heime sind meist klein gehalten, um eine familienähnliche Atmosphäre zu schaffen. Und dennoch sind sie für viele nicht die erstrebte Lebensform. Diese Form des Wohnens, setzt eine grundsätzliche Selektion voraus. Eine Selektion, die von vielen als nicht mehr zeitgemäß empfunden wird. Und nichts zum Gedanken der INKLUSION beiträgt.
Auch hier müssen Betroffene meist Jahre auf einen geeigneten Wohnplatz warten. Oder sind auf Grund wenig geeigneter Wohnformen darauf angewiesen, ihre Heimat und soziales Umfeld zu verlassen und leben viele Kilometer von zu Hause entfernt. Getrennt von Familie, Freunden, sozialen Kontakten und gewohntem und vertrautem Lebensumfeld. Nicht alle sind glücklich über eine solche Heimunterbringung und es gibt bis heute, viel zu viele unglückliche Umstände und Zustände. Viele von ihnen zerbrechen psychisch an einer Heimunterbringung. Viel zu viele behinderte und schwerstkranke Menschen müssen in einem Alterspflegeheim oder in psychatrischen Einrichtungen untergebracht werden, auf Grund zu wenig geeigneter Plätze. Erschwerend kommt hinzu, dass viele Wohnheime von ihren Konzepten überholt und den neuen Pflegeverordnungen nicht mehr entsprechen.
Leben Zuhause
Einige Familien machen es ihren Angehörigen möglich, solange als möglich Zuhause zu leben. Dies ist nur für eine begrenzte Zeit möglich. Nämlich nur solange, wie der Pflegende diese Leistung erbringen kann. Nicht selten geht diese Verantwortung im Laufe der Jahre zu Lasten seiner Gesundheit, seiner finanziellen und beruflichen Möglichkeiten und seiner sozialen Kontakte.
Diese so wichtige Tätigkeit der pflegenden Angehörigen wird noch heute nur unzureichend honoriert und wertgeschätzt. Ohne die Pflege der Angehörigen, die ihr Kind Zuhause versorgen, wäre unser System schon lange kollabiert. Je schwerer ein Kind oder Angehöriger behindert ist, umso größer sind behördliche Hürden und andere Schwierigkeiten zu überwinden. Einfach, weil sie als Mensch, als Familie, durch zu viele Raster fallen. Bei vielen gilt mal als Querulant, weil man für sein Kind die bestmöglichsten Optionen erkämpft. Und muss sich noch dazu rechtfertigen, das man sein Kind, in keinem üblichen Heim unterbringen möchte.
Kommentar schreiben
Sonja (Sonntag, 31 März 2019 10:28)
Ich stimme dir voll zu, dass es da Nachholbedarf gibt.
Und was mich im Alltag am meisten nervt, ist die Herangehensweise an das Thema, auch oft in der Politik. Behindert ist, wem eine Gliedmaße fehlt, nicht sprechen oder gucken kann. Auch wer nicht bis 19 zählen kann. Aber nicht alles ist so offensichtlich. Die seelischen Behinderungen kommen viel zu kurz. Ich sehe es insbesondere es auch bei meinen Stiefsohn. Das klappt schon mit aufoktruierter Inklusion in den Schulen nicht - mit ner Rollstuhlrampe und breiten Türen bekommt man keine Autisten inkludiert.
Wohnen ist da das nächste Thema....
Alles nicht so einfach und schon gar nicht schwarz oder weiß.