Was Patientinnen im IQWiG-Bericht nicht lesen
CDK4/6-Inhibitoren werden in nationalen und internationalen Leitlinien und Empfehlungen zur Behandlung von Patientinnen mit einem Hormonrezeptor-positiven, HER2-negativen, metastasierten Brustkrebs empfohlen und zählen mittlerweile zur Standardbehandlung bei dieser Tumorart. Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) sieht für Patientinnen auch nach erneuter Prüfung weiterhin keinen Zusatznutzen, wobei die endgültige Entscheidung vom Gemeinsamen Bundesausschuss noch aussteht. Dennoch führt der IQWiG-Bericht zu Verunsicherung. Wie kann das sein? Nun, nicht nur, dass die Verlängerung der progressionsfreien Zeit, also der Zeit bis zum Fortschreiten der Krankheit, aus Sicht des IQWiG für Patientinnen nicht relevant ist, sie negieren auch die Bedeutung und Patientenrelevanz der verlängerten Zeit bis zum Einsatz einer Chemotherapie, Schmerzreduktion und neuerdings sogar einen nachweisbaren Überlebensvorteil für den größten Teil der Patientinnen. Konkret geht es um die Kombination von Palbociclib und Fulvestrant, einem Antiöstrogen. Diese Kombination wird bei Frauen in der metastasierten Krankheitsphase eingesetzt, bei denen die Krankheit unter einem Aromatasehemmer fortschritt. Der größte Teil dieser Frauen hatte in der Paloma-3-Studie einen deutlichen Überlebensvorteil. Aber wie kommt es, dass IQWiG dann keinen Zusatznutzen sieht? Mamma Mia! und Brustkrebs Deutschland e.V. sprachen mit Prof. Dr. med. Michael P. Lux, stellvertretender Direktor der Klinik der Frauenklinik am Universitätsklinikum Erlangen, über die Nutzenbewertung des IQWiG.
Eva Schumacher-Wulf: Herr Professor Lux, die IQWiG Nutzenbewertung bezüglich des Überlebensvorteils für Frauen, die mit der Kombination Palbociclib/Fulvestrant behandelt werden, widerspricht der Aussage vieler Ärzte sowie aktuellen Kongressberichten. Gibt es nun einen Überlebensvorteil oder nicht?
Prof. Dr. Michael P. Lux: Ja, den gibt es definitiv. Im gesamten Kollektiv wurde die so genannte statistische Signifikanz zwar nicht erreicht, aber in der Gruppe der postmenopausalen Frauen mit einem Hormonrezeptor-positiven, HER2-negativen, metastasierten Brustkrebs, deren Tumor unter einem Aromatasehemmer fortgeschritten ist, wurde durch die Kombination Fulvestrant/Palbociclib ein Überlebensvorteil von 27 Prozent statistisch signifikant nachgewiesen. Dabei gilt zu beachten, dass postmenopausale Frauen mit Abstand die größte Patientengruppe bilden, die wir behandeln.
Renate Haidinger: Warum sagt IQWiG dann, es würde keinen signifikanten Überlebensvorteil geben?
Prof. Dr. Michael P. Lux: Dieses ist einfach zu erklären. Das IQWiG hat – entgegen der Vorgabe des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) und entgegen seiner bisherigen Methodik – die Subgruppen nicht getrennt voneinander betrachtet, sondern die „prämenopausalen“ und „postmenopausalen“ Frauen als Gesamtkollektiv bewertet. In dieser großen Gruppe gab es keinen signifikanten Überlebensvorteil. Es ist mir aber wichtig zu betonen, dass auch prämenopausale Frauen von der Kombinationstherapie profitieren können, da die progressionsfreie und die Chemotherapie-freie Zeit verlängert werden, außerdem werden beispielsweise Schmerzen signifikant reduziert – sowohl bei prä- als auch bei postmenopausalen Frauen. Dafür nehmen wir als Ärzte und auch unsere Patientinnen die häufig auftretenden Blutbildveränderungen gerne in Kauf, zumal sich diese nicht direkt auf die Lebensqualität auswirken. Zudem sind die Blutbildveränderungen anders als bei einer Chemotherapie. Bei Therapiepause erholen sie sich rasch und führen auch nicht zu der hohen Infektanfälligkeit, die wir im Rahmen der Chemotherapie sehen.
Eva Schumacher-Wulf: Sie erwähnten die Chemotherapie-freie Zeit. Die Zeit bis zur Chemotherapie kann also unter der Kombinationstherapie deutlich verlängert werden. Ist das nicht auch ein Nutzen für Patientinnen?
Prof. Dr. Michael P. Lux: Doch, sicher, aber hier hat das IQWiG auch eine ganz eigene Sichtweise. Sie argumentieren, dass ein Drittel der Patientinnen ohnehin schon eine Chemotherapie gehabt hätte und somit das Hinauszögern der nächsten Chemotherapie kein „patientenrelevanter Nutzen“ sei. Sie gehen scheinbar davon aus, dass Chemotherapien gar nicht mehr so belastend sind, wenn die Frauen ohnehin schon einmal eine hatten. Das sehen Ärztinnen und Ärzte, die wissen, dass Nebenwirkungen über die Zeit kumulieren und die Belastung von Chemo zu Chemo zunimmt, natürlich anders. Ein Beispiel ist die Neuropathie, also die Gefühlsstörungen an Händen und Füßen. Ich könnte mir vorstellen, dass dies auch Patientinnen anders sehen als das IQWiG. Um ehrlich zu sein, würde ich angesichts solcher Aussagen einen deutlichen Protest von Seiten der Patientenvertreter erwarten!
Prof. Dr. med. Michael Patrick Lux, MBA
Stellvertretender Direktor der Klinik
Sprecher der Gynäkologischen Universitäts-Krebszentrums Franken
Sprecher des Universitäts-Brustzentrums Franken
Frauenklinik
Universitätsklinikum Erlangen
Universitätsstraße 21-23
91054 Erlangen
Tel.: +49 (0)9131 8533553
E-Mail: michael.lux@uk-erlangen.de
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